„Der erste Hauskreis, der mich haben will!“

Sarah-Maria Graber über den Umgang mit „schwierigen Fällen“.

Kürzlich war eine Frau bei uns im Hauskreis, die von der ersten Minute an die gesamte Gruppe dominierte: Sie bestimmte das Tischgespräch und unterbrach auch während des Austauschs in der Gruppe ständig die anderen. Sie war so verzweifelt, dass sie ihr Gebetsanliegen ständig wiederholte und dabei die Anliegen der anderen unter den Teppich kehrte. Innerlich kämpfte ich mit gegensätzlichen Gefühlen: Ungeduld, Mitleid, Angst, Ungerechtigkeit. Wie können wir reagieren, damit sich alle wieder wohlfühlen?

Jeder Hauskreis kennt sie, die „schwierigen Fälle“. Es sind einzelne Personen, welche die gesamte Gruppe dominieren. Hinter diesen „schwierigen Fällen“ verbergen sich Menschen, die uns zwar herausfordern, uns aber gleichzeitig eine Chance bieten, um gesund zu bleiben. Denn sie zwingen uns, unsere Absichten zu klären, unser Handeln zu reflektieren und unsere Herzen zu prüfen. Sobald sie keinen Platz mehr finden, stimmt etwas mit unserer Gemeinschaft nicht mehr.

Folgende Punkte scheinen mir im Umgang mit „schwierigen Fällen“ besonders wichtig:

  • Wenn wir klar kommunizieren, schafft das Sicherheit – sowohl für die „schwierigen Fälle“ als auch für den Rest der Gruppe. Deshalb sollten wir mutig sein, klare Grenzen zu setzen.
  • Meine Verantwortung als Leiterin liegt in der Wahrung der Grenzen aller Teilnehmenden. Wenn einzelne Personen zu viel Raum einnehmen, werden damit die Grenzen der anderen Teilnehmenden übergangen. Es ist also meine Aufgabe, in deren Namen den nötigen Raum zurückzuerobern.
  • Meine Worte finden nur dann Gehör, wenn mir die „schwierigen Fälle“ vertrauen. Deshalb geht es in erster Linie darum, eine Vertrauensbeziehung aufzubauen. Vertrauen entsteht durch Glaubwürdigkeit und Echtheit. Und das wiederum setzt voraus, dass ich ehrlich und direkt kommuniziere.
  • Damit einzelne Personen in besonders schwierigen Situationen mehr Aufmerksamkeit erhalten, schaffen wir für sie exklusive Zeitinseln. Wer Lust und Zeit hat, kann zu einem späteren Zeitpunkt für diese Person beten, ihr zuhören oder praktisch unter die Arme greifen. Sei es nach dem Hauskreisprogramm oder an einem dafür vereinbarten Termin.

Ich sagte der Frau im Hauskreis klar und deutlich: „Wir beten sehr gerne für dich, aber nicht nur für dich. Für heute Abend haben wir etwas vorbereitet, das wir mit allen machen möchten. Aber wir vergessen dein Anliegen ganz bestimmt nicht. Wir werden ganz am Schluss dafür beten.“ Und es kostete mich viel Überwindung, so deutlich zu werden!

Später habe ich erfahren, dass sie jemandem aus der Gemeinde sagte: „Das ist der erste Hauskreis, der mich haben will!“ Das hat mich tief berührt. Genau so ist es. Wir wollen auch die „schwierigen Fälle“.

Sarah_Maria_Graber_HLM_400Sarah-Maria Graber leitet eine Community bestehend aus drei Hauskreisen in der Vineyard Bern.